Das Geheimnis des Gartens
Auf einer Messe in Deutschland: Menschen
drängen sich durch die Gänge,
mit gelangweilten oder gestressten
Blicken. Inmitten des dicht gedrängten
Ausstellungs-Bereiches liegt ein
kleiner japanischer Garten. Ein paar
Kinder bleiben bei seinem Anblick stehen,
eines sagt voller Begeisterung zu
den anderen: „Wir gehen jetzt in den
magischen Garten!“
Was ist das Besondere, das die Faszination
eines Gartens ausmacht?
Das Thema Garten bewegt die
Menschen. So werden Gärten gern
von allen Seiten beschrieben, in
bildreichen Worten und in Bildern
ohne Worte, in Büchern, Bildbänden
und Zeitschriften,
von „ökologisch“ bis
„Hochglanz“. Gärten
werden immer wieder
neu gestaltet und
gezeigt – von großen
und kleinen Parks,
regionalen und nationalen
Gartenschauen
über private
Gärten und Schrebergärten
bis hin zum Balkongarten, ja
sogar bis zum „Miniatur-
Zen-Gar ten“ für den
Schreibtisch des
gestressten, der
Natur entfremdeten
Managers.
»Im Garten findet die
Hochzeit von Seele und
Natur statt.«
(Robert Bly)
Sucht man die Antwort auf die Frage, welchen Gartentrend es derzeit gibt, so stellt man fest, dass sich verschiedene parallele Trends ausmachen lassen. Da gibt es naturnahe, verwilderte Gärten mit einheimischen Pflanzen ebenso wie moderne, minimalistisch „gestylte“ Gärten; (asiatische) Feng Shui-Gärten neben mediterranen Kies-Gärten, und Gärten mit viel Technik (z.B. Wasserspiele, Beleuchtung) oder besonderen Kunstobjekten. In ist, was überraschend, reizvoll und „anders“ ist – was der Nachbar nicht hat und die Individualität des Besitzers widerspiegelt.
Die Wurzeln des Gartens
Die Wurzeln des Gartens reichen weit in die Vergangenheit bis zum mythischen Anfang unserer Welt. Der Garten als Ort der Einheit von Mensch und Natur ist ein in vielen Kulturen der Welt bekanntes Grundmotiv. In unserer westlichen Kultur ist es verkörpert im Garten Eden – dem von allen irdischen Zwängen befreiten Paradiesgarten. Im Motiv des Gartens ist auch die Abgrenzung zur Natur bereits enthalten. Jahrtausendelang lebte der Mensch als Teil der Natur. Doch die ungezähmte Natur wurde auch als feindlich erlebt. Mit der Sesshaftigkeit entstanden Nutzgärten. Sie wurden für den Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern genutzt und waren von einem (Flecht-) Zaun eingefasst. Diese Einzäunung hieß im Indogermanischen „ghordo“, worin dann auch die Wurzel des Begriffs „Garten“ liegt. Später wurde die Natur in vom Menschen erdachte Formen gezwungen. Der Nutzgarten wurde zum Repräsentationsgarten, dann wiederum zum naturnahen Landschaftsgarten. Heute ist der Garten für viele ein letzter Rest von Natur in einer lebensfeindlichen Umwelt. Und - so schließt sich der Kreis - ein Ort, um sich der Natur wieder anzunähern.
Der Garten als Ort für die Seele
Kann ein Garten das Bedürfnis der Menschen nach Natur überhaupt stillen? Kann dieser mehr oder weniger kleine, abgeschlossene Raum etwas ändern an unserer Welt? Der Garten war einst ein Ort der Einheit von Mensch und Natur. Er kann es wieder werden! Natürlich nicht in dem Sinne, dass diese kleine heile Welt die Situation in unserer äußeren Welt verändern könnte. Aber er kann helfen, die innere Einstellung zu ändern. Und über den „Umweg“ des Innen gelangen wir wieder ins Außen. Im Garten zeigt sich, wer man selbst ist. Geht man an Vorgärten vorbei, fällt auf, dass ein Großteil von ihnen keine wirkliche Lebendigkeit ausstrahlt. Manche von ihnen wirken trotz des Grüns von Rasen und Thuja-Hecken wie tot. Was ihnen fehlt, ist nicht nur Abwechslung und Originalität, sondern die Mitte, die „Seele des Gartens“. Die fehlende Mitte als Spiegelbild unserer Gesellschaft?...
Der Garten als Ort der Inspiration
Der Dichter Hugo von Hofmannsthal schrieb bereis vor über 100 Jahren: „Die Japaner machen eine Welt von Schönheit mit der Art, wie sie ein paar ungleiche Steine in einen samtgrünen, dicken Rasen legen, mit den Kurven, wie sie einen kristallhellen Wasserlauf sich biegen lassen, mit der Kraft des Rhythmus, wie sie ein paar Sträucher, wie sie einen Strauch und einen zwerghaften Baum gegeneinander- stellen, und das alles in einem offenen
»Den Garten des Paradieses
betritt man nicht
mit den Füßen, sondern
mit dem Herzen..«
(Bernhard
von Clairvaux)
Garten von soviel Bodenfläche wie eines unserer Zimmer. Aber von diesen Feinfühligkeiten sind wir noch weltenweit.“ Immerhin kommen wir allmählich wieder dorthin zurück, wo unsere Großväter waren: die Harmonie der Dinge zu fühlen, aus denen ein Garten zusammengesetzt ist: dass sie untereinander harmonisch sind, dass sie einander etwas zu sagen haben, dass in ihrem Miteinander eine Seele ist, so wie die Worte des Gedichtes und die Farben des Bildes einander anglühen, eines das andere schwingen und leben machen.“
Wie viel Garten braucht der Mensch?
Nicht jeder hat das Privileg, einen großen Garten oder überhaupt einen Garten sein eigen zu nennen. Der französische Gartengestalter Erik Borja erzählt von einem persönlichen Erlebnis in Japan: „Vor dem Eingang einer Autowerkstatt entdeckte ich, zwischen zwei Zapfsäulen, in einer viereckigen Umrandung aus Ziegelsteinen eine anorganische Komposition: fünf Steine auf einem Bett aus weißem Kies und, einziges Element aus der Pflanzenwelt, ein wenig Moos – eine kleine Welt der Harmonie und Stille.“ Das soll ein Garten sein?, wird sich der Leser an dieser Stelle vielleicht fragen. Eine Tankstelle und ein Garten – das passt außerdem auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen. Im Kern besagt die Geschichte jedoch, dass auf der kleinsten Fläche ein Garten gestaltet werden kann. Und eine Assoziation lässt sich noch finden: So wie die Tankstelle den (materiellen) Treibstofffürs Auto bietet, so kann der Garten eine „Tankstelle für die Seele“ sein - ein Ort, wo man buchstäblich seine „seelischen Batterien“ wieder aufladen kann. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen: Der Garten, der Ort des Paradieses ist in uns selbst!